Früherkennungssystem nach § 1 StaRUG: Was ist das und wer braucht das – und vor allem: wozu?
Das Früherkennungssystem folgt aus dem Auftrag des nationalen Gesetzgebers aus einer EU-Richtlinie. In der Umsetzung der Richtlinie hat sich der deutsche Gesetzgeber stark an § 91 Abs. 2 AktG angelehnt: Ziel der Norm ist es, Fehlentwicklungen frühzeitig zu erkennen und damit letztlich auch Insolvenzen zu vermeiden.
Entstehung von Unternehmenskrisen und Insolvenzen
Insolvenzen ereignen sich nur ausnahmeweise aus Einzelrisiken, meist aber aus der Kombination von mehreren nicht notwendig existenzbedrohlichen Einzelrisiken („viele Hunde sind des Hasen Tod“). Deshalb ist das Früherkennungssystem auch kein Risikofrüherkennungssystem, sondern ein Früherkennungssystem für bestandsgefährdende Entwicklungen.
Chancen sind genauso wichtig wie Risiken
Demnach muss ein Früherkennungssystem auch Fehlentwicklungen aus der Kombination von Einzelrisiken erfassen. Die Risiken müssen also zu einem Gesamtrisikoumfang aggregiert werden.
Dabei sind neben den Risiken aber auch die Chancen zu berücksichtigen. Denn: Richtig verstandenes Risikomanagement ist immer auch ein Chancenmanagement. Bekanntlich ist das größte Risiko des Unternehmens, die unerkannte bzw. die verpasste Chance.
HeatMap und Szenarien schaden mehr als sie nützen
Aus genau diesen Gründen ist die „Heat-Map“ untauglich: Sie erfasst weder Kombinationseffekte der Risiken, noch Chancen – und gehört folglich in den Abfalleimer. Auch eine qualitative Beschreibung der Chancen und der Risiken versagt nach ihr, weil daraus ein Grad der Bestandsgefährdung nicht abgeleitet werden kann.
Und auch Szenarien helfen an dieser Stelle nicht weiter. Denn: Geht man vereinfachend davon aus, dass ein Unternehmen 3 Chancen und 3 Risiken hat, ergeben sich daraus 6! = 720 Kombinationsmöglichkeiten. Dies gilt allerdings nur dann, wenn bei jedem eintretenden Risiko/Chance die Auswirkung (Impact) sicher ist. Würde man die Auswirkung stark vereinfachend mit einem Minimal-, Maximal- und einem erwarteten Wert beschreiben, resultieren hieraus 3720 Kombinationsmöglichkeiten. Selbst wenn man davon ausginge, dass sich alle Chancen/Risiken ereignen, resultieren hieraus 36 Kombinationsmöglichkeiten (also 729). Dabei können sich einzelne Risiken/Chancen untereinander verstärken (Katalysatoreffekt) oder aber auch abschwächen. Mit einer solchen Analyse wird unser Gehirn nachweislich nicht mehr fertig.
Sowohl HeatMap als auch Szenarien geben also fehlerhafte Informationen für die Entscheidungsfindung und sind daher selbst ein unschätzbar großes Risiko. Stattdessen müssen die Chancen und Risiken quantifiziert und aggregiert werden. Dies erfolgt mithilfe einer Monte-Carlo-Simulation.
Ergebnis beziehungsweise Erkenntnis aus dem Früherkennungssystems
Das Ergebnis aus einer solchen Simulation ist eine Wahrscheinlichkeitsverteilung, mit der z.B. ausgedrückt werden kann, mit welcher Wahrscheinlichkeit die Insolvenz eintritt, ein negatives Ergebnis erzielt wird oder eine Mindestrendite erzielt wird.
Ein Beispiel zur Veranschaulichung
In diesem Beispiel beträgt das Insolvenzrisiko rd. 42,9 %. Mit einer Wahrscheinlichkeit von 90 % beträgt die Liquiditätsunterdeckung nicht mehr als rund 279 T€ (Auswertung mit dem Excel®-Addin von www.mcflosim.ch):
Insbesondere bei geplanten Maßnahmen kann aufgezeigt werden, mit welcher Rendite im Mittel zu rechnen ist und wie viel Risiko künftig im Unternehmen steckt, um diese Rendite zu erwirtschaften. Es kann also ein künftiges Risiko-Rendite-Profil aufgezeigt werden.
Eine solche Analyse ist insbesondere dann sinnvoll, wenn bei einer haftungsbeschränkten Gesellschaft (AG, GmbH, GmbH & Co. KG) für eine Maßnahme bzw. ein Projekt eine Bankverbindlichkeit eingeworben soll und die Bank dafür Sicherheiten des Gesellschafters verlangt. Dann ist interessant, wie wahrscheinlich es ist, dass das Projekt zum Erfolg führt bzw. wie wahrscheinlich die Inanspruchnahme des Gesellschafters ist.
Pflichtenheft: konkrete Anforderungen an das Früherkennungssystem
Und genau das verlangt die Norm: Eine Entscheidung zu treffen unter Einbeziehung „angemessener Informationen“ – denn nur so, kann eine bewusste und informierte Entscheidungen getroffen werden, §§ 93 Abs. 1 Satz 2, 91 Abs. 2 AktG.
Ein solches System ist aber nur dann nutzbar und rechtskonform, wenn es einen qualitativen Ansatz zur Früherkennung „bestandsgefährdender Entwicklungen“ (§ 91 AktG / § 1 StaRUG) beinhaltet, mit dem
- eine Aggregation von unterschiedlichen Einzelrisiken zu einem Gesamtrisikoumfang möglich ist;
- Kombinations- und Kumulationseffekte, d.h. auch Abhängigkeiten, dargestellt als Korrelationen, zwischen den Chancen und Risiken berücksichtigt werden;
- eine Aggregation über mehrere Jahre möglich ist und
- mögliche Bestandsgefährdungen z.B. auch durch die Verletzung von Anforderungen an Rating (Bank- und Lieferantenkredit!) und Covenants erfasst werden;
- das zukünftige Risikodeckungspotenzial („Sicherheitspuffer“) aufgezeigt werden kann und
- eine Bestandsgefährdung eines Unternehmens, etwa in Form einer Insolvenzwahrscheinlichkeit oder Bestandsgefährdungswahrscheinlichkeit, berechnet werden kann.
Ablauf der Früherkennung
Der Ablauf und das System der Früherkennung kann wie folgt skizziert werden:
Fazit
Vorstände und Geschäftsführer, die ein solches Früherkennungssystem nicht implementieren, verzichten nicht nur auf eine große Chance zur Unternehmenssteuerung, sondern begehen auch einen haftungsträchtigen Pflichtenverstoß. Unternehmerische Entscheidungen ohne Berücksichtigung einer solchen Analyse sind zudem für Anteilseigner nicht sinnvoll zu treffen.
Darum: Are you ready to rumble?